LIONA: Warum wir Innovation im ländlichen Raum anders betrachten müssen

Das Landvorteil-Projekt LIONA steht für „Ländliche Innovationsökosysteme nachhaltig gestalten“ und erforscht das Potenzial ländlicher Räume für Innovation. Das Team von neuland21 und der Leuphana Universität Lüneburg untersucht dabei, wie engagierte Menschen, Netzwerke und regionale Besonderheiten dazu beitragen, nachhaltige Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln. In diesem Interview gibt uns Dr. Verena Meyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Leuphana im LIONA-Projekt, Einblicke in die Forschungsarbeit und erklärt, warum es wichtig ist, im ländlichen Raum mit anderen Kriterien als in der Stadt auf Innovation zu blicken

Verena, was ist problematisch am aktuellen Verständnis von Innovation und ihrer Messung?

Innovation wird oft mit zwei Dingen verbunden: Technologie und Städten. Beides greift aber zu kurz. Ein reiner Technologiefokus übersieht zum einen, dass technologische Innovationen immer auch soziale und gesellschaftliche Auswirkungen haben und zum anderen, wie wichtig gerade auch soziale Innovationen sind, um gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Nur auf Städte zu schauen, ist uns zu wenig: Unsere Fallregionen zeigen sehr deutlich, dass es auch in ländlichen Räumen Innovation gibt. Nur wird diese durch die aktuelle Indikatorik oft nicht gut erfasst, da hier typischerweise Patente, Forschungs- und Entwicklungs-Ausgaben oder Start-Ups im Vordergrund stehen. Innovation im ländlichen Gebieten bleibt damit häufig unsichtbar.

 

Ihr habt vier Regionen bereist, die fortschrittlich im Bereich soziale Innovation sind. Nach welchen Kriterien habt ihr diese Regionen ausgesucht?

Für uns war es besonders wichtig, den Blick auf Innovation und deren Verständnis zu erweitern und gerade in ländlichen Räumen zu schauen, wie dort Innovationsökosysteme funktionieren. Entsprechend haben wir Regionen ausgesucht, die alle Merkmale ländlicher Räume haben und auf die eine oder andere Art einen Strukturwandel erleben bzw. erlebt haben. 

Soziale Innovationen spielen in allen vier Regionen eine Rolle. Dabei war uns wichtig, dass die Regionen ganz unterschiedliche Aspekte von Innovation gut machen: mal sind sie besonders stark im zivilgesellschaftlichen Engagement, mal in der unternehmerischen Ausrichtung,  mal mit einem Fokus auf soziale Innovation oder nachhaltige (Energie-)Wirtschaft. Mit den vier Regionen wollten wir ein vielfältiges Bild von Innovation gewinnen und zeigen, wie sie in ganz unterschiedlichen Regionen aussehen und zur nachhaltigen Entwicklung beitragen kann.

Was hat euch vor Ort besonders beeindruckt?

Was mich persönlich am meisten begeistert hat: die Offenheit der Menschen. Wir wurden sehr herzlich in den Regionen willkommen geheißen und bekamen  viele Einblicke von ganz unterschiedlichen Menschen und Organisationen. Das allein war schon großartig. Und: wir haben zahlreiche Menschen kennengelernt, die Lust haben, unsere Forschungsthemen zu diskutieren, die auch in ihrer eigenen Arbeit sehr reflektiert  und für Weiterentwicklungsmöglichkeiten offen sind. 
 
Es war beachtlich, wie viele engagierte Menschen wir getroffen haben, die sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen für „ihre“ Region einsetzen – in der Kommunalverwaltung,in einer Agentur, in einem lokalen Unternehmen, in einem Projekt oder einer Initiative, in einer Schule oder in einem Landwirtschaftsbetrieb. Die Menschen vor Ort sind motiviert, ihre Umgebung  bewusst zu gestalten und finden dafür oft kreative Lösungen und Ansätze.
Dr. Verena Meyer forscht an der Leuphana-Universität Lüneburg unter anderem daran, wie Organisationen und Entrepreneurship zu einer besseren Gesellschaft in der Gegenwart und in der Zukunft beitragen können.

Ihr habt zahlreiche Interviews mit Akteur:innen in den Fallregionen geführt. Was waren die wiederkehrenden Themen der Menschen, die aktiv ihre Region mitgestalten wollen?

Eine der typischen Herausforderungen ist sicherlich der Umgang mit Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur. Es geht darum, Perspektiven für junge Menschen zu schaffen, damit sie bleiben, den Umgang mit Pendler:innen zu gestalten, die vor Ort wohnen, aber woanders arbeiten, oder ausländische Arbeitskräfte zu integrieren, die durch neue Unternehmen in die Region kommen. 

Bedeutsam ist auch das Image der Region und die öffentliche Wahrnehmung – sowohl allgemein als auch in Bezug auf Themen wie Innovation und Nachhaltigkeit. Wichtig ist für uns nicht, festzulegen, was genau Erfolg bringt, sondern zu verstehen, wie das Innovationsökosystem einer Region funktioniert, welche Akteur:innen es braucht sind und wo es Handlungsbedarf gibt.

Gerade bei Image und Wahrnehmung spielt Kommunikation eine Schlüsselrolle: Begriffe wie „Nachhaltigkeit“ stoßen manchmal auf Unverständnis oder Ablehnung. Aber wenn beispielsweise durch Windräder eine unabhängige Energieversorgung aufgebaut wird, von der die Bürger:innen direkt profitieren, findet das oft breite Zustimmung. Sobald der Mehrwert für die Region deutlich wird – idealerweise kurzfristig erlebbar, aber auch langfristig gedacht – kann viel in Richtung Nachhaltigkeit und Innovation bewegt werden. Innovation sollte dabei immer der Region nützen und keinen Selbstzweck erfüllen.

Wie tragen eure Ergebnisse dazu bei, soziale Innovationen in der Landvorteil-Region voranzubringen?

Unser Ziel ist es, das Innovationsökosystem in der Landvorteil-Region besser zu verstehen – mit einem weiten und flexiblen Blick auf Innovation. Dafür entwickeln wir einen Rahmen, der dabei hilft zu erkennen, welche Faktoren und Akteur:innen in ländlichen Innovationsökosystemen wichtig sind. Auf dieser Grundlage wollen wir das bestehende System in der Region analysieren und gemeinsam mit lokalen Vertreter:innen Handlungsfelder bestimmen. Die Expertise aus der Region ist dabei zentral, da die Menschen vor Ort am besten wissen, was ihre Region braucht. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für weitere Schritte und Projekte im Landvorteil-Bündnis.

 Aktuell wertet das Team die Erkenntnisse aus den Forschungsreisen und den Interviews aus. Im Mai 2025 werden die Ergebnisse in Form einer wissenschaftsbasierten, praxisorientierten Studie und Handreichung veröffentlicht. Wir sind gespannt!

Herzlichen Dank, Verena, für das Interview!

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