Innovationsatlas: Im Gespräch mit den Menschen vor Ort

Wie entstehen soziale Innovationen abseits der großen Städte und wer treibt sie voran? Das Projekt „Innovationsatlas“ hat diese Fragen in der Landvorteil-Region untersucht. Das Team mit Forschenden von der Technischen Hochschule Lübeck, dem WandelLand e. V., der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein und dem Thünen-Institut für Regionalentwicklung hat mit zwei mobilen Forschungsstationen und Besuchen bei lokalen Akteur:innen in zahlreichen Gesprächen im Kreis Herzogtum Lauenburg und im Landkreis Ludwigslust-Parchim Menschen und Initiativen porträtiert, die sich engagieren und vor Ort einen Unterschied machen. Im Interview geben Kay Riehn, wissenschaftlicher Mitarbeiter des WandelLand e.V., und Amanda Groschke, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein, Einblicke in die Forschungsarbeit und die Bedeutung der Ergebnisse für die Region.

Kay, wonach genau sucht ihr, wenn ihr von sozialen Innovationen in ländlichen Räumen sprecht?

KR: Soziale Innovationen sind soziale und kulturelle Neuerungen, die Wandel fördern. In ländlichen Räumen zeigt sich Innovation oft darin, dass ein Projekt vor Ort neu ist und lokale Bedürfnisse erfüllt. Deshalb haben wir breit gesucht und spannende Projekte und engagierte Personen entdeckt – von überregional bekannten Innovationsorten bis hin zu kleinen Initiativen mit großer lokaler Wirkung. Viele sehen sich selbst nicht als „sozial innovativ“, haben aber Vorbildcharakter für ihre Region.

Kay Riehn vom Wandelland e. V. hat die mobilen Forschungsstationen durch die Region begleitet (Bild: privat)

Ihr wart in 8 verschiedenen Gemeinden mit Forschungsstationen vor Ort. Wie wurdet ihr empfangen und was habt ihr aus dem direkten Austausch mit den Anwohnenden gelernt?

KR: Die Forschungsstationen haben uns wertvolle Einblicke in die Gemeinden gegeben. Besonders offen für Gespräche waren engagierte Menschen, die sich Veränderung wünschen, sei es zur Lösung konkreter Probleme oder für mehr Angebote. An öffentlichen Standorten stießen wir auf viel Neugier – teils skeptisch, teils auch verwundert „warum sich jemand für uns hier interessiert“, aber selten ablehnend. Viele nutzten die Stationen, um ihre Gedanken und Anliegen zu teilen.

Amanda, ihr seid zusätzlich zu Akteur:innen in der Region gefahren und habt sie interviewt – wie seid ihr auf diese Menschen aufmerksam geworden? 

AG: Wir haben 20 Interviews mit Schlüsselakteur:innen geführt – je 10 im Kreis Herzogtum-Lauenburg und im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Dafür haben wir in der Region mit Schlagworten wie Kultur, Kunst und Ästhetik gezielt nach Initiativen gesucht, da wir uns mit dem Potenzial künstlerisch-kreativ-ästhetischer Herangehensweisen auseinandersetzen, die Menschen für innovative Vorhaben im ländlichen Raum aktivieren. Wichtig war uns dabei, eine möglichst breite regionale Verteilung abzubilden.

Amanda Groschke von der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein hat lokale Akteur:innen vor Ort besucht (Bild: privat)

Welche Methoden haben sich besonders bewährt, um vor Ort mit den Menschen ins Gespräch zu kommen?

KR: An den Forschungsstationen waren vor allem die Eröffnungsveranstaltungen eine gute Gelegenheit, um Menschen aus der Umgebung einzuladen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Eine Schlüsselrolle spielten dabei lokale Kontaktpersonen, die den Zugang zur Gemeinschaft ermöglichten. Weniger erfolgreich war es, die Stationen zur eigenständigen Nutzung durch die Bewohner:innen zu etablieren.

AG: Beim Besuch vor Ort war es wichtig, dass ich mich als Interviewerin mit den Themen des Dorfes oder der Stadt vorher beschäftigt habe und echtes Interesse mitbringe – das spüren die Menschen sofort. Wertvoll war auch, mir den Ort zeigen zu lassen und mir dafür Zeit zu nehmen. So entstand ein Geben und Nehmen, das authentische Einblicke ermöglichte. Insgesamt sind wir auf sehr offene Menschen gestoßen – die meisten Zugezogene und Rückkehrer:innen, die mit Innovationsfreude neue Impulse in die Region bringen.

In Summe habt ihr im Rahmen des Projekts Interviews mit mehr als 70 engagierten Personen in der Landvorteil-Region geführt. Was macht diese Menschen und Projekte aus?

KR: Besonders beeindruckt hat uns, dass viele Projekte im Kern von einer sehr kleinen Gruppe engagierter Menschen zusammengehalten werden. Diese Personen zeichnen sich in der Regel durch ein starkes Vernetzungsgeschick und viel Durchhaltevermögen bei der Umsetzung eigener Ideen aus.

AG: Die Menschen in der Landvorteil-Region sind gut vernetzt und schätzen den Austausch sowie das gemeinschaftliche Miteinander. Sie engagieren sich aktiv, um ihre Region lebendig zu halten, insbesondere in Kunst und Kultur – oft trotz begrenzter finanzieller Mittel. Sie sind motiviert davon, ihren Lebensraum mitzugestalten und Probleme zu lösen. Das Erleben sichtbarer Erfolge, eine Identifikation mit der Region, der Zusammenhalt und der Wunsch nach der eigenen Wirksamkeit spielen dabei eine zentrale Rolle.

Was hat euch an den Geschichten und Projekten in den Regionen am meisten inspiriert?

KR: Es gibt viele Menschen, die aktiv ihre Städte und Dörfer mitgestalten. Die üblichen Diskurse über angeblich abgehängte, strukturschwache Regionen treten dabei in den Hintergrund. Viele Leute erkennen die vorhandenen Ressourcen und Chancen und nehmen die Zukunft ihrer Gemeinden selbst in die Hand.

AG: In den Menschen steckt so viel Mut und Zuversicht! Sie setzen sich ein, finden kreative Lösungen und geben sich mit Motivation und Herzblut rein, um lokale Herausforderungen zu lösen. In den Interviews habe ich nochmal mehr verstanden, dass Gemeinschaft, Mitgestaltung und Offenheit für neue Entwicklungen wesentliche Aspekte für positive Veränderung und eine starke Region sind.

Wie tragen eure Ergebnisse dazu bei, soziale Innovationen in der Landvorteil-Region voranzubringen?

KR: Es ist wichtig, zu zeigen: Ja, es gibt Probleme und Herausforderungen – und es gibt auch Menschen, die längst an den Lösungen arbeiten. Wir können zeigen, welche Lösungen aus der Region selbst hervorgehen und wo es mehr externe Unterstützung braucht.

AG: Außerdem heben wir die Schätze und Ressourcen der Region hervor, damit die Menschen vor Ort sich ihrer Stärken und Möglichkeiten bewusst werden. Perspektivisch wollen wir auch andere ländliche Regionen ermutigen, ähnliche Wege zu gehen.

Das Team wertet derzeit die ersten Erkenntnisse aus den Interviews aus. Im März 2025 werden die Ergebnisse in Zusammenarbeit mit den Forschenden des LIONA-Projekts in praxisnahen Workshops gemeinsam mit Entscheidungsträger:innen aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg und dem Landkreis Ludwigslust-Parchim auf die Region übertragen. Abschließend präsentiert das Team die Ergebnisse im Rahmen von Regionalkonferenzen.

 Herzlichen Dank, Kay und Amanda, für das Interview und ein großes Dankeschön an alle Interviewpartner:innen für das Teilen ihrer Geschichten.

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